Donnerstag, 5. Oktober 2017

[KINO] Blade Runner 2049 (2017)

http://www.imdb.com/title/tt1856101/

Im Jahr 2023 wird die Herstellung von Replikanten – künstlichen Menschen, die zum Einsatz in den Weltall-Kolonien gezüchtet werden – nach mehreren schwerwiegenden Vorfällen verboten. Als der brillante Industrielle Niander Wallace (Jared Leto) ein neues, verbessertes Modell, den "Nexus 9", vorstellt, wird die Produktion 2036 jedoch wieder erlaubt. Um ältere und somit nicht zugelassene Replikanten-Modelle, die sich auf der Erde verstecken, aufzuspüren und zu eliminieren, ist weiterhin die sogenannte "Blade Runner"-Einheit des LAPD im Einsatz, zu der auch K (Ryan Gosling) gehört. Bei seiner Arbeit stößt K auf ein düsteres, gut gehütetes Geheimnis von enormer Sprengkraft, das ihn auf die Spur eines ehemaligen Blade Runners bringt: Rick Deckard (Harrison Ford), der vor 30 Jahren aus Los Angeles verschwand...

1982 brachte Regisseur Ridly Scott einen Science-Fiction-Thriller in die Kinos, der so visionär, so bahnbrechend, optisch brillant und hochgradig philosophisch war, dass das Publikum den Film mit eher mäßigen Kritiken abstrafte, weil es für so eine Art von Film ganz offensichtlich noch nicht bereit war. Auch ein nicht unerheblicher Teil der namhaften Kritiker hinterließen eher mittelmäßige Rezensionen und auch die Einspielergebnisse der Kinos blieben äußerst verhalten. "Blade Runner" hieß dieser Film, dessen Genialität erst viele Jahre später erkannt und entsprechend gewürdigt wurde und von dem es satte 5 Versionen gibt. Über die bis heute unzählige Genre-Beiträge prägende Gestaltung des futuristischen Los Angeles herrschte Einigkeit, während sich andere an der spürbaren emotionalen Kälte der Geschichte störten oder vom aufdringlichen Voice-Over des Protagonisten Deckard (verkörpert durch Harrison Ford) irritiert waren. "Blade Runner" war einfach ein audiovisueller Meilenstein, dessen Zusammenspiel von Akustik und Optik in Perfektion harmonierten. Seiner Zeit meilenweit voraus, reifte die intelligente Zukunftsvision über die Jahre zum Kultfilm und dem vielleicht relevantesten Genre-Werk überhaupt. Mit Themen wie dem technologischen Fortschritt, der revolutionären Gentechnik und der zunehmenden Macht von Großkonzernen ist der Inhalt heute sogar aktueller als zur Zeit der Erstaufführung.


2017 und knapp 35 Jahre später macht sich nun der kanadische Regisseur Denis Villeneuve auf, in die Fußstapfen Scotts zu treten und in "Blade Runner 2049" die Ursprungsgeschichte zugleich fortzusetzen und dieser ein modernes, sowohl optisch als auch Noir-lastiges Update zu verpassen. Und wer sich bereits im Vorfeld optimal auf das Werk einstellen will, dem sei übrigens die Sichtung der drei veröffentlichten Kurzfilme "2036: Nexus Dawn", "2048: Nowhere To Run" und vor allem des die Zwischenhandlung erklärenden Animes "Blade Runner Black Out 2022" empfohlen, die das auch so schlüssige Werk zusätzlich bereichern.

In einer Zeit, in der 3D-Drucker, Künstliche Intelligenz und selbstfahrende Autos nicht mehr nur der Phantasie von Enthusiasten entspringen, sondern sich infolge der Digitalisierung immer stärker in das Leben der Menschen drängen, inszeniert Ausnahmetalent Denis Villeneuve mit "Blade Runner 2049" weit mehr als einen futuristisch angehauchten Blockbuster. Wie schon in Ridley Scotts Vorgänger wird hier das Grundgerüst von einer dystopischen und daher melancholischen Noir-Atmosphäre bestimmt und die ambitionierte, sehr ruhig erzählte Geschichte in Form einer klassischen Detektivstory präsentiert. Allerdings sollte der Zuschauer keinesfalls den Fehler begehen und lediglich auf die Entwicklung der etwas vorhersehbaren, gradlinigen, aber spannend erzählten Handlung schauen. Allein die sagenhaften Bilder von Kameramann Roger Deakins vermitteln noch eine ganz andere Ebene. So beispielsweise, wenn das nächtliche Los Angeles wie eine flache und allein dem Zweck dienende Leiterplatine erscheint, in deren Schluchten das Aufleuchten von Neon-Reklame schwache Lebensfunken signalisieren und lediglich die Firmensitze wie gigantische,  finstere Türme in den Himmel ragen. Die Stadt symbolisiert die westliche Welt und in dieser Welt sind selbst menschliche Freuden beinahe ausschließlich nur noch digitaler Natur. Der einsame K (Ryan Gosling) etwa findet seinen privaten Ausgleich bei dem intelligenten und mit emotionalen Ausprägungen ausgestatteten Hologramm Joi (Ana de Armas). Es ist ein Trugbild, mit dem sich der Replikant ein winziges Stück Glück gönnt und das von seiner Perspektive einer wahren Liebe gleicht, ähnlich wie auch die in Spike Jonzes großartiger Sci-Fi-Romanze "Her" von Scarlett Johansson gesprochene Samatha. In einer wunderbar sinnlich gestalteten Szene wird ein intimer Wunsch K's kurz gar physische Realität. Es ist eine der intensivsten Szenen im Film und man starrt gebannt auf die Szenerie, die so surreal und gleichzeitig phantastisch ist, dass es einem den Atem verschlägt.


In dem auf dem Roman "Do Androids Dream of Electric Sheep?" von Philip K. Dick basierenden Original spielten auch in "Blade Runner 2049" Träume und das Unterbewusstsein eine tragende Rolle. Um seinen Geschöpfen menschliche Eigenschaften zu verleihen, musste der gottgleiche Dr. Eldon Tyrell (1982 gespielt von Joe Turkel) diese mit Erinnerungen füttern, deren Kenntnis zugleich ihrer Detektion nützen konnte. Hier ist es Jared Leto als Niander Wallace, der als Hauptfigur im Hintergrund agiert, dessen Auftritt aber umso bedrohlicher wirkt. Hier leistet Leto einmal mehr einen guten Job und spielt seinen Charakter unglaublich stark. Aber auch die Leistungen von Ryan Gosling, Ana de Armas, Robin Wright und besonders Sylvia Hoeks als Handlangerin/Gegenspielerin Luv sind grandios in diesem wortkargen und trotzdem vielsagenden Krimi-Thriller.

Der Score von Benjamin Wallfisch und Hans Zimmer ist beinahe über jeden Zweifel erhaben. Er muss sich eben gefallen lassen, dass er zwangsläufig mit dem kongenialen Vangelis-Score des 1982er Originals verglichen wird, der ohne jeden Zweifel erhaben und damit unerreicht ist. Es ist trotzdem ein großartiger Soundtrack, düster, basslastig, bei dem sphärische, sanfte, langgezogene und warme Klänge dominieren, der auch viele Themen von Vangelis aufgreift, diese nach 2017 transportiert und den Film verdammt genial begleitet.

"Blade Runner 2049" lädt die Zuschauer zu einer Reise zu den Ursprüngen dieser Träume und Erinnerungen ein, die auch eine Reise zu den Wurzeln der Menschlichkeit ist. Sind es lediglich die wenigen Aminosäuresequenzen, die einen Menschen von einem Individuum aus dem Labor trennen, oder ist es womöglich das Vorhandensein einer Seele? Doch wenn es eine Seele gibt, wo sitzt sie und woher kommt sie? Mit diesen spannenden Fragen und mehr sieht man sich konfrontiert, wenn man sich das bildgewaltige und sorgfältig erzählte Werk im Kino anschaut. Wer dagegen nur ein retromanisches Treffen der Generationen mit spektakulären Effekten und Daueraction erwartet, wird sich während der knapp 163-minütigen Laufzeit vermutlich unbefriedigt den Hintern plattsitzen. Freilich kommt es auch in "Blade Runner 2049" auch zu brutalen Kämpfen, peitschenden, urplötzlichen, lautstarken Gewaltausbrüchen und adrenalinhaltigen Höhepunkten. Allerdings sind diese Momente nicht nur Mittel zum Zweck, sondern ergeben sich homogen aus der epischen Geschichte. Denis Villeneuve vollbringt mit seinem nicht minder betörenden Sequel zwar nicht das eigentlich ohnehin unmögliche Kunststück, Ridley Scotts zeitlosen Klassiker in den Schatten zu stellen, doch seine enorm starke und passionierte Vision verbeugt sich einerseits ergeben vor seinem Schöpfer und schreitet andererseits selbstbewusst in eine düstere Zukunft gerichteten Pfad weiter. Am Ende bleibt ein kurz aufflackerndes Licht der Hoffnung. Und einer der besten Filme eines insgesamt famosen Kinojahres.

9,5/10


Von SONY Pictures kommt der Film in 4K Ultra HD im limitierten Steelbook:

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