Sonntag, 24. Februar 2013

Per Un Pugno Di Dollari - A Fistful Of Dollars - Für eine Handvoll Dollar (1964)

http://www.imdb.com/title/tt0058461/

In dem abgelegenen Dorf San Miguel in New Mexico werden die Einwohner von zwei rivalisierenden Gangsterfamilien, den angloamerikanischen Baxters und den mexikanischen Rojos, terrorisiert. Ein einsamer, schießfertiger Reiter (‘Joe’, gespielt von Clint Eastwood) kommt in das Dorf und bietet beiden Familien an, für sie zu arbeiten. Er kassiert von beiden eine ansehnliche Bezahlung. Der Anführer der Rojos, Ramón (Gian Maria Volonté) entdeckt den Betrug und lässt Joe brutal foltern. Joe gelingt die Flucht. Die Rojos schlachten daraufhin die Baxters ab, weil sie sie verdächtigen, Joe zu verstecken. In einer aufgelassenen Mine erholt sich Joe und kehrt nach San Miguel zurück, um mit den Rojos, speziell mit Ramón, abzurechnen.


Sergio Leone hat mit "Für eine Handvoll Dollar" den Western auf den Kopf gestellt - und damit das Genre des Italowestern erst begründet. Natürlich wurden schon vorher Western in Europa gedreht. Spanien war von den Amis als kostengünstiger Drehort entdeckt worden. Es entstand eine Reihe von B-Western in amerikanisch-spanischer Co-Produktion. Schon bald mischten die Italiener mit. Vor Leones Quantensprung waren 25 Italowestern entstanden, die sich aber vollständig am amerikanischen Vorbild mit glatt rasierten und moralisch integren Helden orientierten. Bei Leone war alles anders. Als Regisseur war er zwar kein Nobody mehr, aber allzu viel Vertrauen hatten die Produzenten nicht. Was sich im Budget des Films widerspiegelte. Es gab halt nur eine Handvoll Lire. Leone hatte als Second-Unit-Regisseur bei großen Hollywood-Produktionen wie "Ben Hur" und "Quo Vadis" Erfahrungen gesammelt, mit "Die letzten Tage von Pompeii" und "Der Koloss von Rhodos" bereits zwei Filme selbst gedreht. Doch jetzt wollte er offenbar eingetretene Pfade verlassen.

"Für eine Handvoll Dollar" war nur das Nebenprodukt, eine Art Resteverwertung eines anderen Westerns. Doch Die letzten Zwei vom Rio Bravo von Mario Caiano mit dem auch schon damals nicht mehr allzu hell strahlenden US-Star Rod Cameron ist heute so gut wie vergessen. Leone wollte mit seinem Film den japanischen Streifen "Yojimbo - Der Leibwächter" von Akira Kurosawa in ein Westernszenario überführen. John Sturges hatte das mit "Die glorreichen Sieben" nach Kurosawas "Die sieben Samurai" erfolgreich vorgemacht. Leone und seine Produzenten hatten sich jedoch nicht um die Rechte gekümmert. Vielleicht dachten sie ja, der Japaner würde den Film ohnehin nie zu sehen bekommen. Bekam er aber. Und schickte seine Anwälte. Die Einigung sicherte Kurosawa die Rechte für den asiatischen Raum. Womit er schließlich mehr verdienen sollte, als mit seinen eigenen Film.

Egal wie billig die Produktion war, sie brauchte einen amerikanischen Hauptdarsteller. Schon damals dachte Leone an Henry Fonda oder Charles Bronson. Fonda war viel zu teuer. Bronson hielt das Drehbuch für das schlechteste, das man ihm je anzubieten gewagt hätte. Egal. Clint Eastwood schlug zu und begnügte sich mit 15.000 Dollar Gage. Immerhin bekam er eine kostenlose Überfahrt nach Old Europe und ein paar Wochen Spanienurlaub. Eastwood war bis dahin nur als Cowboy Rowdy Yates in der TV-Westernserie "Tausend Meilen Staub" bekannt geworden, hatte von diesem Staub aber genug in die Nase bekommen. Er wollte mal was anderes machen. Und da kam Leones radikales Experiment offenbar ganz recht. Eastwoods Einfluss auf den Film und seine Stilelemente sind dabei nicht zu verachten. Schon damals hat er also dem Kino wichtige Impulse verliehen. Gesichert ist, dass er seine Pistole samt Gurt vom "Tausend Meilen Staub"-Set mitbrachte. Auch Schaffelljacke, Hemd und Jeans soll er selbst besorgt haben. Strittig ist, ob er auch den ikonischen Poncho mitbrachte. Hoch anzurechen ist ihm jedenfalls die Opferbereitschaft, mit der er als Nichtraucher virtuos seine Zigarillos zwischen den Zähnen hin und herrollen lässt. In den 60ern galt das als obercool. Eastwoods schlaksige Figur, der langsame Gang, die lakonische Sprechweise, die sparsame aber betont und exakt auf den Punkt gebrachte Mimik kreierten einen völlig neuen Typus von Westernhelden jenseits allen Edelkitsches Hollywoods. Man hätte seiner Figur abgenommen, nur mit Blicken töten zu können. Eastwood kürzte auch seinen Drehbuchtext teils drastisch ein, um seine Figur noch mysteriöser zu gestalten. Im Kontrast zur zurückhaltenden Darstellung des Amerikaners lag die gelegentlich ausufernde Theatralik des italienischen Theaterschauspieler Gian Maria Violonté als Ramon Rojo. Der 1994 mit 61 Jahren viel zu früh verstorbene Schauspieler war einer der größten Charakterdarsteller Italiens (Sacco und Vanzetti, Luck Luciano, Christus kam nur bis Eboli). Und sollte noch manchem Highlight des Genres sein markantes Gesicht verleihen. In einer Nebenrolle als Marisol brilliert auch Marianne Koch. Heute eher als engagierte Ärztin bekannt, war sie damals einer der beliebtesten Filmstars Deutschlands, wenn auch auf eher seichte Stoffe und Heimatfilme abonniert. Zu der Rolle in Leones Film hatte sie auch erst getragen werden müssen. Doch noch Jahrzehnte später erinnerte sie sich mit viel Freude an dieses Erlebnis, wie sie mir am Rande eines Interviews zu einem anderen Thema vor etlichen Jahren verriet.

Schon in der ersten Szene wird klar, dass Sergio Leone hier keinen klassischen Western abliefern wollte. Sein Held reitet kein stolzes Ross, sondern einen alten Klepper, einen Maulesel. Er trägt einen Dreitagebart, seine Klamotten sind alt, zerschlissen und dreckig. Ein Look, der realistischer wirken sollte. Auf seine Art aber auch nur einen neuen Mythos schuf, eben einen dreckigeren. Der Fremde beobachtet ungerührt, wie das Kind von Marisol misshandelt und ihr Mann verprügelt wird. Ein strahlender Hollywood-Held hätte einschreiten müssen. Doch der Fremde ist nicht nur ein Mann ohne Namen, sondern auch ohne Moral. Für ihn zählt nur sein eigener Vorteil, und das am besten in Gold und Dollar. Das wird nur durchbrochen, als er Marisols Familie zur Flucht verhilft. Die Zwischenhandlung um Marisols "heilige Familie" - ihr Sohn heißt Jesus, ihr Mann Jakob - wirkt in diesem Sujet seltsam fehl am Platz. Sie erklärt sich nur im Zusammenhang mit der durchgängigen christlichen Ikonographie. Denn nur in einem katholischen Land wie Italien konnte ein solcher Film entstehen. Ein Gelage im Hof der Rojos erinnert nicht zufällig an Da Vincis Abendmahl. An dessen Ende beginnt die Passionsgeschichte des Fremden, als er gefasst und gefoltert wird. Dass er, der Totgeglaubte, am Ende wie zu Ostern aufersteht, schließt sich nahtlos an. Das Auftauchen aus einer Staubwolke verdichtet den mythologischen Gehalt der Szene. Der Held als von den Toten Wiederkehrender - auch dies wird zum Topos etlicher filmischer Nachfolger. Viele Szenen spielen auf Friedhöfen, Kreuze und Särge gehören zum wesentlichen Inventar. Doch damit haben sich Leones filmische Mittel längst nicht erschöpft. Spannung baut er betont langsam auf, auch dies war zuvor so noch nicht gesehen worden. Gefühlt minutenlang wechseln sich Gesichter in Großaufnahmen mit Details von noch in Halftern steckenden Revolvern ab, bis die Action explodiert und die Leichen durch die Gegend fliegen. Damals bedeutete "Für eine Handvoll Dollar" auch in der Gewaltdarstellung einen Dammbruch.

Dann wieder gibt es reine Actionszenen. Alle zehn Minuten passiert irgendetwas, damit niemals Langeweile aufkommt. Das aber ist auch die größte Schwäche dieses ersten Teils der Dollar-Trilogie. Der Rhythmus wirkt mitunter holprig. Und wegen des geringen Budgets wurden Nachtszenen am Tage gedreht, aber mit so einfachen Filtern, dass es allzu deutlich wird. Doch das ist schon alles, was negativ ins Gewicht fällt. Das Schlussduell unterscheidet sich in seinem Aufbau ebenfalls stark von den klassischen Vorbildern. Es hat noch nicht den vollendeten Kreischarakter wie etwa in Zwei glorreiche Halunken, deutet dies aber schon an. Das finale Sterben ist große Oper und erinnert eher an Verdi als an Ford. Doch ob "Für eine Handvoll Dollar" ohne das Soundesign und die Musik Ennio Morricones ein solcher Erfolg geworden wäre, mag bezweifelt werden. Auch Morricone ging hier, in enger Abstimmung mit Leone, neue Wege. Statt eines orchestralen oder folkloristischen Sounds verband er Geräusche von Peitschen, Schüssen und Glocken, die monotonen Klänge einer Maultrommel, Pfeifen und menschliche Stimmen zu einer ganz eigenen und einzigartigen Musik, die den Szenen besondere emotionale Tiefe verliehen. Besonders intensiv mit dem Trompetenklang in Duellszenen, die sich an das mexikanische Todeslied, dem Deguelleo aus John Fords Rio Bravo anlehnten. Auch die Geräusche haben dramaturgische Bedeutung. Die Pistolenschüsse klingen wie Gewehre, Gewehrschüsse wie Kanonen. Alles, auch das Wiehern der Pferde oder das Krähen eines Hahns, verbindet sich mit der Musik zu einer Symphonie des Todes. Effekte, die beim zweiten Teil der Dollar-Trilogie, "Für ein paar Dollar mehr", noch stärker zum tragen kommen sollten.

Sergio Leone schuf mit diesem ersten Film der Dollar-Trilogie noch kein Meisterwerk. Die sollten folgen. "Für eine Handvoll Dollar" war ein Anfang, und als solcher ein Meilenstein der Filmgeschichte. Trotz kleinerer Schwächen sollte ihn sich kein Westernfan entgehen lassen. Für filmhistorisch interessierte ohnehin ein Muss.

9/10 

Quellen
Inhaltsangabe: Universum Film

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